Spazieren gehen im Slum



Vor einigen Wochen waren wir zu Besuch bei einer NGO in Bangalore. Die NGO betreibt eine Schule, an der es Kindern aus Slums ermöglicht wird, kostenfrei eine gute Bildung auf Englisch zu erhalten. Dort hatten wir auch die Möglichkeit eins der Slums zu besuchen aus denen viele der Kinder kommen.

Der Teil des Slums, den wir besucht haben, wirkt auf den ersten Blick wie eine normale indische Wohnstraße, eine sehr enge, dicht bebaute und lebendige Wohnstraße. Etliche Menschen wuseln an diesem Mittag durch die Gegend. Einige Männer spielen ein Würfelspiel auf dem Boden. Ein paar Schritte weiter wird in einem riesigen Topf, über einem offenen Feuer mitten auf der Straße, Sambar gekocht. Unsere Gruppe, mit drei hellhäutigen und einigen gut gekleideten Inderinnen, wird von allen Seiten beäugt.

Ich hatte unter dem Begriff Slum immer lose Wellblechhütten im Kopf, aber wir stehen in einer normal bebauten Straße. Man erklärt uns, dass vor vielen Jahren hier kein offizieller Baugrund war und die Menschen angefangen haben einfach irgendwelche Hütten zu bauen. Ein Slum so wie ich es mir vorgestellt hatte also. Vor einigen Jahren kam dann die Regierung der Stadt und hat eine Art Wohnungsbauprojekt durchgeführt und für alle Menschen richtige Häuser mit Wasser und Stromanschluss gebaut. Die Bewohner des Slums können jetzt in den Häusern kostenfrei wohnen und müssen nur für den Strom aufkommen.

Wir kommen ins Gespräch mit einigen Eltern von Kindern die auf die Schule der NGO gehen. Wir werden zu ihnen nach Hause eingeladen, zu Tee und Keksen. Wir laufen einige Meter und gehen in ein Haus. Die Wohnung der Familie ist winzig. Zwei Räume, zusammen vielleicht so groß wie unser Zimmer im Heim. Dort leben sie zu sechst. Der Mann ist sehr krank und die Frau ist Tagelöhnerin für Bauarbeiten.
Die meisten Bewohner des Slums sind Tagelöhner für Bauarbeiten, sagt man uns. Nicht nur die Männer sondern auch die Frauen. Jeden Tag warten sie darauf ob es dann diesem Tag Arbeit für sie geben wird. Wenn es Arbeit gibt verdienen sie an einem Tag etwa 200-300 Rupien (3-4 Euro). Wenn es keine Arbeit gibt, dann verdienen sie jedoch keinen Cent.
Während wir so plaudern und Tee schlürfen, wird noch eine riesige Schale Nüsse in der Küche frisch geröstet.

In Dokumentationen hört man immer, wie gastfreundlich Menschen in solch schwierigen Lebenssituationen sind, und irgendwie war das immer so ein Phänomen was ich mir nie so richtig vorstellen konnte. Aber tatsächlich, die Leute die wir dort getroffen haben, haben sich scheinbar sehr gefreut über unseren Besuch und waren weitaus herzlicher als so manch einer  bei uns in Deutschland. Das war eine Stunde meines Lebens, die ich so schnell nicht vergessen werde.

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