Der kritisierende Kolonialist





Im kürzlich erschienen Blogeintrag ProblemzoneBildung – Englisch für´n Arsch beschwere ich mich ausgiebig über die Art und Weise, wie hier versucht wird, den Kindern Englisch beizubringen.

Im Nachhinein habe ich diesen Text noch einmal gelesen und überlegt, ob es okay ist, ihn so zu veröffentlichen.
Ich habe gemerkt, dass ich sehr vorsichtig geworden bin in dem, wie ich Dinge bewerte und besonders wie ich sie öffentlich kritisiere.

Das liegt an einem Thema, das während der Vorbereitungsseminare in Deutschland immer wieder angebracht wurde.

Kolonialismus und Eurozentrismus.

Wir haben viel darüber diskutiert, wie sich der Kolonialismus der westlichen Staaten noch heute auswirkt und das Begrifflichkeiten wie „Entwicklungshilfe“ anstatt „Entwicklungszusammenarbeit“ oder „Dritte Welt“ statt „Globaler Süden“ die sprachliche Manifestation von Völkerhierarchien sind, die bis heute andauern.
Es wird von Modernisierung gesprochen und damit Technologisierung gemeint. Ein kleiner aber feiner Unterschied. Der über Jahrtausende gewachsenen Kräuter- und (ich nenns mal) Spiritualmedizin wird kein Raum neben der europäischen Schulmedizin gelassen. Globalisierung, der freie Markt und Kapitalismus werden von Staaten des globalen Nordens in alle Weltbereiche getrieben, bewirken dort einen radikalen Wandel und drängen die Staaten des globalen Südens in die ökonomische Abhängigkeit.

Ich werde auf dieses Thema in anderen Einträgen noch ausführlicher zu sprechen kommen.
Aktuell ist es mir nur wichtig zu erklären, warum ich es so kompliziert finde, hier öffentlich zu kritisieren.

Wenn ich die Art und Weise, wie Englisch hier gelernt wird, deutlich angreife, frage ich mich, ob ich das Recht dazu habe. Immerhin kamen diese Sprache und diese Unterrichtsmethoden ursprünglich aus Europa und wurden hier teilweise erzwungen.
Außerdem bin ich sensibilisiert für Rassismus und modernen Kolonialismus und will keinesfalls in die Rolle des gebildeten, modernen Europäers fallen, der den schwächeren Völkern erklärt, wie sie unser System am besten adaptieren können. (Merkt ihr, wie es so formuliert ganz schnell einen ganz ekelhaften Klang hat?)

Es ist mir wichtig, dass ich und möglichst viele andere wissen, was der Grund für einen Zustand ist, den man kritisiert.
Ja, ich halte die Art wie hier überwiegend Englisch gelernt wird für Mist. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, wer meiner Meinung nach für diesen Zustand verantwortlich ist und wie er sich historisch ergeben hat.

Ich habe mich gefragt, warum ich trotz aller Bedenken zu Kolonialismus und Rassismus eine eher derb und wenig sachlich formulierte Kritik zu Zuständen in Karnataka veröffentliche und dahinterstehe.
Die Antwort: Ich kenne meinen Hintergrund und kritisiere nicht als sich-höher-gestellt-fühlender Deutscher, sondern als möglichst neutraler Beobachter.
Und ich kritisiere genauso in Deutschland, über Deutschland.
Und das ist der entscheidende Punkt.


Kommentare

  1. Hallo Oscar,

    wie schön, mal wieder von dir zu lesen!

    Deine Überlegungen zeigen sehr schön die totale Klemme, in der man sich befindet, wenn man vom privilegierteren Ende der Welt kommt. Aus dieser Klemme kommt man nicht raus - es ist wie "rund um die Ecke kommen". Der einzig gangbare Weg (ich würde es nicht Lösung nennen) ist der der Kritik UND Selbstkritik. Ein Freund von mir, Roland Rosenow, hat das mal das "dialektische Schlupfloch" genannt.

    Neben dem einen "entscheidenden Punkt" (Würde ich dasselbe auch in meinem Land ähnlich scharf kritisieren?) gibt es aus meiner Sicht noch einen anderen, vielleicht noch wichtigeren, nämlich: Gibt es Menschen INNERHALB des kritisierten Systems, die dieselbe Kritik ebenfalls formulieren? In dem Falle wäre der Verdacht der kolonialistischen Arroganz zumindest deutlich geschwächt.

    Davon abgesehen geht es dir und euch hoffentlich gut. Hier hält seit einigen Tagen so langsam der Spätherbst Einzug mit den ersten Schneeflocken im Harz und ekelig-nassem Wetter in den Niederungen. Ab halb sechs hat man das Gefühl, ins Bett zu müssen, weil es schon so lange dunkel ist, dafür will man morgens nicht raus. Immerhin: Der Kürzeste Tag des Jahres ist schon in drei Wochen.

    Ganz liebe Grüße
    Ulrike

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  2. Hallo Ulrike,

    wenn ich Dialektik richtig verstanden habe (falls das überhaupt geht), dann geht es im Kern ja auch darum, so zu formulieren, dass man in jedem Fall recht hat.

    Ich glaube, dein Punkt (gibt es im System Kritiker) unterstützt die Legitimität der Kritik.

    Mir geht es gerade sehr gut und ich vermisse die kurzen deutschen Tage nicht so wirklich. Damit werdet ihr schon fertig. Immerhin gibt es Glühwein und Schmalzkuchen.

    Liebe Grüße

    Oscar

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