Von Chai, Kühen und Backsteinen - Ein Tag in Veerapandi Pirivu


Es war der erste Programmpunkt der Woche, dem man doch ein wenig nervös entgegensah.
Am Samstag morgen verließen wir das KKID kurz nach Sonnenaufgang und besuchten in Kleingruppen je ein Dorf in der nähren Umgebung.

Gemeinsam mit Tine und Melanie, sowie drei ortsfremden Mentoren, stiegen wir in einen öffentlichen Bus. Die Tipps unserer Mentoren: Männer sitzen hinten, Frauen sitzen vorne und "just hold on and try not to die".
Gestorben wären wir vielleicht nicht, aber bei geöffneten Türen und hohen Geschwindigkeiten war das mit dem Festhalten alles in allem doch eine sehr gute Idee.

Im 1500-Einwohner-Dorf Veerapandi Pirivu angekommen dauerte es keine zehn Minuten, bis wir eingeladen wurden. Das war uns ganz recht. Es fiel uns durchaus auf und war auch nicht nur angenehm, dass alle Menschen uns hinterherguckten und manchmal skeptisch, manchmal freundlich beäugten.
Die Einladung war ein echter Glücksfall, den wie sich später herausstellte, saßen wir auf einmal auf der kleinen Betonterasse des Dorfoberhauptes, tranken Chai und aßen indische Snacks mit Minzsoße.

Wir freuten uns über die Begleitung der Mentoren. Viele Leuten sprachen Englisch, aber trotzdem war es gut, jemanden zu haben, der einen die Dinge ein wenig vormacht. Wo muss ich meine Schuhe ausziehen? Was darf ich ablehnen, was nicht? Wie viel muss ich essen, ohne dass es unhöflich wird? Darf ich alles aufessen? Und so weiter und so fort...



Die Gastfreundschaft und Offenheit, mit der uns begegnet wurde, war beeindruckend. Ebenso das Interesse.
Waren es zu Beginn noch wenige Menschen, die sich um die Terasse versammelten, wurden es nach und nach mehr und bald schien es uns, als sei die gesamte Familie vor Ort.
Ein kleiner Junge ließ sich von Melanie die Kamera zeigen, Tine hatte auf  einmal eine Babyziege auf dem Arm und wir führten eine Kuh durch den kleinen Hof.

Die Familie, deren Name wir leider nicht exakt wiedergeben können, aber starke Ähnlichkeit mit einer beliebten Käsesorte in Deutschland (Gouda) hat, schien stolz auf ihre Tiere zu sein und auch auf das Bildungsniveau des Dorfes. Alle Kinder würden zur Schule gehen, es gäbe einen Arzt und ein kleines Krankenhaus. Die Töchter des Familienvaters seien Juristin in Coimbatore und Studentin im administrativ-wirtschaftlichen Bereich.
Aufbau und Architektur des Dorfes wirkten auf uns sehr schlicht. Folglich überraschte es sehr, dass das ganze Dorf  mit fließendem Wasser und Elektrizität ausgestattet war. Die Regierung hatte vor einigen Jahren Gelder bereitgestellt, um dies zu ermöglichen

Die Sprache der Menschen verwunderte uns ebenfalls. Das gesamte Dorf sprach Kannada. Eine Sprache, die eigentlich im über 300 Kilometer entfernten Bundesstaat  Karnataka gesprochen wird, der Region, in der wir die nächsten acht Monate leben werden.
Die andere Sprache erklärten sie uns mit einer Auswanderung aus Karnataka, die vor einigen Generationen stattfand.

Eine weitere Besonderheit war definitiv ein Fest zur Verehrung Shivas, das jedes Jahr im Dorf stattfindet. Hierzu werden Tänze einstudiert, die die Lebensgeschichte Shivas darstellen. Die Motivation uns ein Video von diesem Tanz zu zeigen war so groß, dass man kurzerhand entschloss, den Ort zu wechseln und sich in einem Haus niederzulassen, in dem es einen Fernsehanschluss gab.
Dort wurden uns Kekse serviert und das mitgenommene Frühstück blieb abermals eingepackt.

Nachdem wir unsere Blogadresse auf Nachfrage auf ein Stück Papier schrieben und der jungen Juristen in die Hand drückten, führten uns das Familienoberhaupt und ein weiterer Mann aus dem Dorf hinaus.
Sie zeigten uns den Ort, wo die Dorfgemeinschaft Backsteine herstellt.
Sie erklärten uns, dass dies erträglicher sei als die Landwirtschaft, da die Felder immer wieder von Elefanten verwüstet werden würden. (Die Konfrontation mit Elefanten ist in dieser Gegend ein großes Problem. Mehreren Kleingruppen wurde davon berichtet, dass Felder verwüstet würden und manchmal auch Menschen von Elefanten angegriffen, die auch bis in die Dörfer kämen.)

Die Backsteinfabrikation wirkte simpel, aber effektiv.
Uns war dort ein wenig unwohl. Es war merkwürdig einfach so in den Arbeitsbereich von fremden Menschen zu platzen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Die beiden Männer, die uns führten, schienen hierarchisch über dem Rest zu stehen. Auch als wir fotografieren wollten, gaben sie uns die Erlaubnis. Dabei fotografierten wir nicht sie oder ihren Arbeitsplatz, sondern den von Menschen, mit denen wir kaum wirklich kommunizierten.
Dafür gab es keinen Raum und es schien auch nicht üblich.
Vielleicht bilden wir es uns auch nur ein. Da ist gut möglich. Unabhängig davon war dies das erste Mal, dass wir wirklich so etwas wie eine feste und unumstößliche Hierarchie spürten. Ob zutreffend oder nicht… Wir dachten sofort an das Kastensystem.



Es fuhr kein Bus zurück. Vier Kilometer bis zur nächsten Busstation durch die brütende Hitze zu wandern erschien uns zu anstrengend und an  den vorprogrammierten Sonnenbrand hatten wir auch nur geringes Interesse.
Also fuhren wir Rikscha.
Ein Mann aus dem Dorf begleitete uns die gesamte Strecke im Fahrzeug. Das erschien uns merkwürdig, wurde uns im Nachhinein aber als freundliches Verhalten erklärt.
Bei Anstiegen hatte das kleine Gefährt ganz schön zu kämpfen
Gemeinsam mit uns sieben und dem Fahrer war die Rikscha doch recht überfüllt. Mal wieder saßen die Männer hinten.
Unseren Eltern hätte das bestimmt nicht gefallen. Zu dritt auf einer winzigen Kofferraumfläche, die Beine au der Rikscha baumelnd, mit einer Hand am Rand festhaltend, fuhren wir mit 40 km/h über die staubige Piste.
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Kommentare

  1. Ein sehr schöner, interessanter, eindrucksvoller Bericht, ich finde alles sehr spannend, was ihr so erlebt....weiter so!

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  2. sehr amüsant das mit dem Familiennamen (Gouda). Bei uns im Dorf gibt es ein Mädchen, deren Namen sehr stark "Schindler" ähnelt (wir haben sie auch lange so angesprochen..)

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